Mittwoch, November 01, 2006

Ruhe in Person

Es war ein Ohren beißender Ton, der mich aus meinem mehr oder weniger wohl verdienten Vormittagsträumchen riss. Erschrocken zuckte ich zusammen, schaute verwirrt zu meinem Banknachbarn, der ebenfalls unsanft aus seinen Träumen gerissen worden war. So richtig schien es nicht zu klappen, die Sache mit dem aufwachen.
Erst als ich ihm einen sanften Schubs verpasste, fuhr er sich langsam durch sein schwarzes Haar und startete seinen Bootvorgang.

Wild mit den Armen fuchtelnd versuchte ich seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Es waren einfach zu viele Fragen, die mir auf einmal durch den Kopf schossen. Wildes herumfuchteln ist in solch´ einer Situation immer die beste Lösung. Nicht nur, dass man stundenlang angesammelte Energien umsetzen kann. Es ist unumstritten DIE perfekte Gelegenheit um dem Banknachbarn zur Linken eine zu verpassen. Und das vollkommen legal. Es war schließlich keine Absicht...

Ganz unter uns gesagt; Wer hat noch nie mit dem Gedanken gespielt, seinem Sitznachbarn einen kleinen Klaps zu verpassen?!

Angespannt beobachtete ich, wie mein Banknachbar in Zeitlupe eine seiner dunklen Augenbrauen anhob. Der Ausdruck, den er mir zu verstehen gab, war mehr als trocken. Es dauerte Sekunden bis er anfing seine Lippen zu bewegen.
"Feueralarm."

Mit Bildern des flammenden Infernos vor meinen Augen packte ich ihn hektisch am Arm.
"Komm... beeil Dich, wir müssen hier raus..!!"
"Nur die Ruhe.. es kann nicht brennen..."
Verdutzt schaute ich in seine verträumt dreinblickenden, dunklen Augen.
"was macht Dich da so sicher..?!"
"Werf´ doch mal einen Blick aus dem Fenster. Es regnet. Wie kann es brennen, wenn es draußen wie aus Eimern schüttet?"

Kopfschüttelnd zerrte ich an seinem Arm, den ich noch immer fest mit meinen Händen umschloss.

Also eines ist sicher. Wenn ich ein Lexikon zur Hand nehme und unter den Worten “Ruhe in Person” nachschlage, so entdecke ich seinen Namen. Und ein Foto, das die Dramatik und die hohe Bedeutung dieser Person unterstreicht.

Mit Kribbeln in meinen Fingerspitzen beobachtete ich, wie er damit begann, seelenruhig seinen Laptop zusammen zu falten. Wie er in aller Ruhe Kabel feinsäuberlich nach Din Norm ordnete und zu kleinen Rollen formte. Wäre ich allein gewesen, so hätte ich schon lange die Flucht ergriffen. Doch ich konnte ihn nicht alleine dem Schicksal überlassen. Mein Kopf befahl mir zu laufen. Mein Gewissen hingegen befahl mir zu warten.

Es vergingen Minuten, bis wir endlich den Raum hinter uns ließen um uns durch das drei Stockige Treppenhaus zu kämpfen. Zwar kamen wir nicht als letztes in das Ziel. Doch trotz alledem blieb ein übler Nachgeschmack bei mir hängen.
Mein Banknachbar lag die ganze zeit im Recht. Es war eine Übung. Doch was wäre geschehen, wenn es sich um den puren Ernst gehandelt hätte...?!